Was soll ich fotografieren? Die Krise des Hobbyfotografen
Manch einer hat sich über die Jahre die tollste Fotoausrüstung für teures Geld zugelegt, alle Touristenmagnete damit besucht, den gesamten Katalog abgearbeitet, Säcke voller Ausbeute mit nach Hause gebracht. Am Anfang machte dies noch Freude. Jetzt schmeckt es fade. Und nun?
der berühmte "Scheiße-Stempel" von Otto Steinert (Replik)
Ich lese seit über 20 Jahren fast täglich in Internetforen über Fotografie. Selten schreibe ich sogar darin etwas. Meist jedoch halte ich mich zurück und informiere mich auf diesem Weg über gegenwärtige Probleme und über Neuigkeiten innerhalb der Fotografie. Ich muss sagen: Durch derlei Foren hatte ich eine Menge gelernt und tue dies weiterhin – auch als Inspiration für dieses Fotoblog.
Das für mich interessanteste Thema dort taucht alle Jahre immer wieder in unregelmäßigen Abständen auf – sei es zwischen den Zeilen oder gleich als eigenständiger Artikel. Es lautet (etwas überspitzt von mir dargestellt):
Diese Frage, an solch einem Ort platziert, finde ich beeindruckend: Ich bewundere diejenigen, die tatsächlich den Mut aufbringen und somit, unschuldig wie ein Kind, (vielleicht auch unfreiwillig) die Sinnhaftigkeit hinter dem Ablichten unserer Umgebung hinterfragen. Denn alle anderen im Hobby-Segment „Fotografie“ tun dies ja nicht – im Gegenteil: Als letztes tun dies die Hersteller von Fototechnik und die, die derlei Technik verkaufen und bewerben.
(Da ich auf dieser Seite u. a. Reklame für Foto-Zubehör schalte und damit etwas Geld verdiene, tue ich dies – zugegeben – auch nur ungenügend.)
Es gibt da dieses schöne Musikvideo von der Popgruppe »Eurythmics« „There Must Be An Angel“ aus den 1980er Jahren. Im Mittelpunkt dieses Films sitzt ein völlig gelangweilter Monarch aus dem 17. Jahrhundert herum, vor dem – um ihn zu erheitern – eine Art Theaterstück mit Gesang, Verkleidung und Tanz arrangiert wird. Zunächst vergebens: Er schläft fast dabei ein. Auch schrill verkleidete und opulent geschminkte Figuren vermögen ihn nicht zu erheitern. Dies schafft dann augenscheinlich erst ein Gospelchor vor antiker Kulisse.
An diesen König mag sich vielleicht manch Fotograf mit zwar üppiger Ausstattung aber ohne Schwung erinnert fühlen. Eine mit der oben dargestellten Frage verwandten in den Fotoforen ist:
Die Frage kann auch anders gestellt werden: »Man zeige mir den lokalen offiziellen Katalog an zu absolvierenden Fotostationen.«
→ Ich glaube, hierbei geht es gar nicht um Fotografie. Es geht hier um eine Art von Besitz und darum, diesen sammeln und präsentieren zu wollen. Wie mit einem Schmetterlingnetz huscht man durch die Gegend und versucht alle Falter auf der vorgegebenen Liste zu erwischen.
Am Ende merkt man jedoch: Das interessiert kaum jemanden. Denn das Publikum ist satt. Es ist alles bereits vorhanden – in hundertfacher Ausführung und auch in hoher, sogar besserer Qualität. Damit lockt man keinen Hund mehr vor dem Ofen hervor und da stellt sich erneut die Frage: »Was soll ich nur fotografieren?« Die Fototechnik hat ja schließlich viel Geld gekostet, das Studieren und Trainieren der Bedienung viel Zeit.
Man könnte sich mit einem Teleobjektiv auf ein Arktisschiff stellen oder anderweitig an exotischen Orten fotografieren. Hat man viel Geld und die Zeit dazu, ist es zunächst recht einfach, Fotografien anzufertigen, die nicht bereits schon Hinz und Kunz parallel auf diversen Kanälen präsentieren. Damit könnte man sich Gehör, ich meine Auge, verschaffen.
Doch eigentlich gibt es diese ganzen Bilder schon. Es ist alles abfotografiert. Man müsste sich in fernen Ländern schon heimlich von der Reisegruppe trennen und mit dem Fotoapparat einen Alleingang ins Hinterland wagen. So etwas tun ja auch einige und diese Bilder wiederum sind häufig sehenswert – weil eben nicht von der Stange. Aber, wie gesagt, dazu benötigt man Geld und Zeit sowie Mut und die Bereitschaft, Strapazen auf sich zu nehmen. Diese Option wird also für die Meisten nicht relevant sein.
Das große Problem ist, dass man heute nicht mehr einfach Menschen auf der Straße ablichten kann. So etwas war vor der Etablierung des Internets und vor den Digitalkameras sicherlich weitaus weniger brisant. Damit ist für den Hobbyfotografen sein größter Schatz in weite, häufig unerreichbare Ferne gerückt: Man muss heute tatsächlich Menschen auf der Straße fragen und sie ein vorgefertigtes Schreiben unterzeichnen lassen, bevor man sie ablichten darf. Ansonsten droht bei Veröffentlichung auf z. B. dem eigenen Blog ein bitteres Strafgeld. Die spontane, direkte Fotografie des Flaneurs auf der Lauer, wie man sie beispielsweise von Garry Winogrand (englische Seite) kennt, wäre heute und hier (in Westeuropa) undenkbar.
Wie mache ich es? Ich habe für mich zwei Themenfelder entdeckt, an denen ich mit meiner Kamera arbeite. Vielleicht können sie als Inspiration für eigene Projekte dienen.
Bei dem einen geht es um Menschen in ihren (interessanten) Räumlichkeiten:
Hier frage ich natürlich vorher bzw. stelle mein Fotoprojekt vor. Dies sind dann freilich sehr „starre“, völlig arrangierte Portraits. Bei den Menschen muss es sich keinesfalls um Künstler oder anderweitige Charakterköpfe handeln (auch wenn diese oft am Interessantesten sind). Fast immer sind es Freunde bzw. Bekannte von mir. Bei solchen Aufnahmen ist mir ein Weitwinkelobjektiv sehr wichtig. Denn die Räumlichkeiten gehören ja zum Motiv, besitzen eine Aussagekraft bzw. beschreiben die porträtierte Person indirekt.
Hier hatte ich einfach eine Bekannte gefragt, ob ich sie einmal bei sich daheim fotografieren darf. Auch dieses Foto ist natürlich völlig gestellt und wurde etwas aufwendig mit einem entfesselten Blitz ausgeleuchtet. Für meine Personenporträts räume ich häufig auch nicht auf oder schließe z. B. Schranktüren nicht. Durch diesen Trick rufe ich (so meine ich zumindest) etwas die Neugier beim Betrachter hervor, gestatte die Gelegenheit, in fremde Stuben blicken zu können. Oder anders herum ausgedrückt: Ich lenke davon ab, dass derlei Fotografien eigentlich bis ins Detail gestellt sind. Zudem: solche Details erzählen auch indirekt, geben Einblick.
Weil ich oben kurz auf die technische Ausrüstung vieler Hobbyfotografen eingegangen bin: Meine Bilder fertige ich meist mit uralten, analogen „Klapperkisten“ an. Hin und wieder greife ich auch zur Digitalkamera. Aber hier benötigt man m. E. nichts Besonderes, nichts besonders Teures. Ich halte das meiste Gerede darüber (Kameras, Objektive) für die Katz. Viele sind hier der Fotoindustrie auf den Leim gegangen.
Viel wichtiger ist das Licht – insbesondere bei Porträts im Raum. Hier bin ich froh, dass ich mich in den letzten Jahren mit dem manuellen Blitzen auseinander gesetzt hatte. Wer mag, kann gerne in den Blitz-Bereich meines Blogs reinschauen.
Den jungen Besitzer des Fahrradladens hatte ich einmal gefragt, ob ich ihn nach Feierabend in seiner Werkstatt mit meiner Kamera porträtieren darf. Ich fotografiere sehr wenig. Diese wenigen Bilder, die dabei heraus kommen, erfreuen mich auch Jahre später noch. Es lohnt sich, einfach einmal nachzufragen. Hierzu halte ich auf meinem Smartphone einige Beispielfotos bereit, um zu demonstrieren, wie meine Porträts am Ende ausschauen. Wie das obere Foto technisch zustande gekommen ist, beschreibe ich hier → Fotografieren in der Fahrradwerkstatt.
Bei meinem zweiten fotografischen Standpunkt achte ich penibel darauf, dass meine (Landschafts-) Motive nicht zu überladen sind: Ich empfehle jeden, der nicht mehr weiß, was er nun mit der teuren Technik fotografieren soll, auf die Suche nach dem Minimalistischen zu gehen:
Ich selber suche mit der Kamera meist nur noch Orte auf, bei denen sich die Landschaft aufgeräumt – eben minimalistisch – präsentiert. Schneebedeckte Wintertage vor den Toren der Stadt bei Milchglaslicht sind hierfür ideal. Ich hatte zu diesem Thema ja einmal einen kleinen Artikel mit weiteren Beispielfotos verfasst → Minimalistische Fotografie. In westlichen Städten jedenfalls fotografiere ich gar nicht mehr. Diese sind visuell zugemüllt. Alles erscheint dort uniform und übersteuert. Alles schaut gleich aus und „brüllt“ einen an. Alles dort lärmt durcheinander. Nur bei Schneeschichten oder bei Nebel würde ich innerhalb der Stadt fotografieren.
Das kleine Gespenst hat sich im Gebüsch verfangen – für solche einfachen, minimalistischen Motive habe ich häufig eine Kompaktkamera dabei. Heutige Smartphones sind ja mittlerweile technisch ebenfalls für so etwas geeignet.
Wie man sieht, sind meine Bilder meist auch in Graustufen (S/W) gehalten. Es lässt sie artifizieller erscheinen. Kontraste und Formen kommen besser zur Geltung. Meine Fotografien müssen / sollen gar nicht einem realistischen Anblick entsprechen. Meine Porträts leuchte ich ja auch künstlich nach meinen Vorstellungen aus.
Ich möchte in diesem Beitrag gar nicht mehr eigene Bilder zeigen. Die Beispielfotos sollen nur demonstrieren, dass ich (anstatt einfach alles Interessante zu knipsen) mich eher darauf konzentriere, vieles auszulassen, verhindere, dass ich allzu oft den Auslöser drücke. Das interessiert am Ende eh niemanden, mich eigentlich auch nicht. Nur die Fotoindustrie wäre daran interessiert.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Polemik »Gegen die Kommerzielle Verblödung der Fotografie«, wer diese noch nicht kennt. Die Artikel sind jedoch teilweise recht zynisch.
7 Todsünden der Fotografie zeigt dem Leser die Welt von Internet-Communities, Fotoforen und -Katalogen auf und möchte Anreiz zur Selbstreflexion darstellen: »Benötige ich diese Meinungen oder behindern sie mich gar?«
Und gar nicht würde ich dem klassischen ›Katalog empfohlener Fotomotive‹ folgen. Dies schließt beispielsweise auch die typischen Sehenswürdigkeiten von Städten aus: Wenn man diese in Form eines eigenen Fotos nicht „besitzen“ muss, kann man sie sich später auch in der Google-Bildersuche ansehen. Wenn ich einen Ausflug in eine mir bisher fremde Stadt hierzulande mache, nehme ich die Kamera gar nicht erst mit. Da reicht das Smartphone für einige Erinnerungsbilder.
Es gibt an manchen Orten sogar „Foto Spots“ – Hinweise darauf, dass an dieser Stelle fotografiert werden sollte (z. B. Kodak Fotospot). Dabei hat man nichts selber entdeckt. In einem selber ist dabei eigentlich nichts passiert. Man hat nichts gewonnen. Man hat dann wie beim Wandern einfach nur den jeweiligen Stationen-Stempel in sein Stempelheft gedrückt – hier halt den Auslöser.