Spiegelvorauslösung: Bringt sie überhaupt was?
Ich besitze zwei Kameras mit der Möglichkeit, den Spiegel vor der Aufnahme manuell hoch klappen zu können, um erst danach die eigentliche Belichtung vorzunehmen. Diese Funktion nennt man Spiegelvorauslösung. Doch ergibt sie in der Praxis eigentlich einen Sinn? Hier muss man unterscheiden.
Dieser Artikel war zunächst direkt gar nicht geplant. Er kam folgendermaßen zu Stande: Ich arbeite mit recht großen analogen Mittelformatkameras. Diese besitzen einen durchaus rabiaten Spiegelschlag. Meine primär genutzte Kamera dieser Gattung besitzt eine Spiegelvorauslösung, die es mir ermöglicht, den Spiegel manuell vor der eigentlichen Aufnahme hoch klappen zu können. Hierdurch werden die Erschütterungen, welche die Spiegelreflexkamera beim Hochklappen des Spiegels verursacht nicht auf die eigentliche Aufnahme übertragen. Das Prinzip ist also ganz einfach.
Bei Kameras, die gar keinen Spiegel besitzen, ist eine entsprechende Vorauslösung natürlich nicht notwendig / möglich.
Ich nutze die Spiegelvorauslösung sicherheitshalber immer (ganz unabhängig, ob sie überhaupt etwas bringt [siehe unten“]), denn ich fotografiere mit solchen Kameras stets vom Stativ und in Ruhe. Jedenfalls sollte nun noch eine zweite Mittelformatkamera – als Reserve – ins Haus. Diese besitzt keine Spiegelvorauslösung jedoch naturgemäß ebenfalls einen wirklich tüchtigen Spiegelschlag. Also musste ich mir spätestens an dieser Stelle Gedanken machen, ob ein Verzicht auf das manuelle Hochklappen des großen Schwingspiegels vor der eigentlichen Aufnahme tatsächlich eine leichte Unschärfe im Bild verursacht bzw. ob eine Spiegelvorauslösung überhaupt etwas bringt.
Mein Testergebnis
Ich nutzte zum Testen mein stabiles Triopo-Stativ, auf welches ich die Kameras fest installierte. Ich nahm die selben Motive im selben Licht auf. Bis zu einer Verschlusszeit von 1/250 Sekunde konnte ich keine Unterschiede in puncto Schärfe feststellen! Ich beurteilte die 6×6-Negative gründlich mit einer 4-fach Lupe.
Ab der 1/500 Sekunde jedoch waren Unterschiede (leichte Verwackler) zugunsten der Spiegelvorauslösung zu beobachten.
Spiegelvorauslösung nur bei langen Zeiten?
Im Internet wird beschrieben – z. B. bei Wikipedia oder in diesem Artikel – dass eine Spiegelvorauslösung (auch als „SVA“ oder „MLU“ bezeichnet) insbesondere bei langen Belichtungszeiten einen Sinn ergibt. Ich habe genau das Gegenteil festgestellt und behaupte: Nein. Eine Spiegelvorauslösung ist gerade bei sehr kurzen Verschlusszeiten sinnvoll!
Und dies behaupte ich auch recht einfach erklären zu können:
Ich nehme an, dass der Vorgang der Erschütterung, welcher durch den Spiegelschlag verursacht wird, ca. 1/500 Sekunde lang ist. Nehmen wir gleich mal ein Extrembeispiel: Wir belichten ohne Spiegelvorauslösung ganze zwei Sekunden lang. Innerhalb dieser zwei Sekunden Belichtungszeit (ganz am Anfang) erfolgt die Erschütterung durch den Spiegelschlag, welcher ja nun (nur) 1/500 Sekunde lang ist. Diese äußerst kurze Zeit macht sich doch gar nicht in der (langen) Belichtung bemerkbar! Muss ich zwei Sekunden lang belichten ist der kurze Moment von 1/500 Sekunde völlig vernachlässigbar. Diese äußerst schwachen, „verwackelten“ Bildinformationen werden niemals sichtbar sein. Es dominieren klar jene Bildinformationen, welche auf den Chip oder den Film geschrieben werden, nachdem die Erschütterung längst abgeklungen ist!
Wie gesagt: Bei meinen Tests konnte ich bereits bei 1/125 Sekunde keinerlei Unterschiede mehr zu den Aufnahmen mit der SVA feststellen. Erst ab der 1/250 Sekunde wurde es kritisch.
Was passiert bei kurzen Belichtungszeiten?
Fotografiere ich mit meiner Mittelformatkamera aber bei recht kurzen Verschlusszeiten, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus: Belichte ich mit 1/500 Sekunde, so deckt die Erschütterung, welche ja ebenfalls ca. 1/500 Sekunde andauert, die gesamte Belichtung vollständig ab! Hier ist mit leichter Unschärfe zu rechnen.
Das heißt für mich: Bei kurzen Belichtungszeiten ab 1/250 Sekunde werde ich nicht mehr mit dem Trumm (gemeint ist meine Kiev 60) ohne Spiegelvorauslösung fotografieren können. Das ist aber kein Übel, denn ich arbeite seit jeher mit eher lichtschwachen Filmen und blende auch immer stark ab. Zur Not müsste ich einen Graufilter verwenden, wenn ich bei Sonnenschein und Offenblende arbeiten möchte.
Spiegelvorauslösung bei der DSLR
Bei den weit filigraner gebauten digitalen Spiegelreflexkameras dürfte sich eine Spiegelvorauslösung noch weit weniger bemerkbar machen. Denn hier gibt es bei Weitem nicht so eine rabiate Erschütterung, wenn der (winzige) Spiegel hoch schnellt.
Jedoch gilt auch hier das selbe Prinzip: SVA nur bei kurzen Belichtungszeiten. Bei langen Verschlusszeiten ergibt ein manuelles Hochklappen des Spiegels kaum mehr Sinn.
Dennoch: Sofern die Spiegelvorauslösung-Funktion vorhanden ist und sofern ich die Zeit habe, benutze ich sie immer. Sicher ist Sicher.
Ich habe auch selbst den Test-Vergleich gemacht und zwar mit meiner DSLR und einem 200 mm Teleobjektiv auf dem Stativ und mit Fernauslöser: Ich konnte bei keinen Zeiten einen Unterschied zu den Aufnahmen mit Spiegelvorauslösung feststellen.
Noch etwas: Mich verwundert meine, zum allgemeinen Konsens ganz unterschiedliche, Erkenntnis etwas, dass die SVA nur bei kurzen Belichtungszeiten (und eben nicht bei den langen) etwas bringt. Bin ich etwa einem Irrtum auferlegen? Ich finde meine Schlussfolgerung eigentlich völlig logisch. Was meinen Sie / was meinst Du? Wie sehen Ihre Testergebnisse aus?
Hinweis: Durch eine Leserin meines Blogs bzw. über die Kommentarfunktion könnte meine so konträren Ergebnisse aber auch an etwas anderem liegen: Am Verschluss. Ich hatte meine Testaufnahmen ja mit einer sehr großen (und alten) Mittelformatkamera mit (mechanisch recht einfach gehaltenen) Schlitzverschluss angefertigt. Unabhängig vom Spiegel könnte dieser per se für eine gewisse Unschärfe bei den kurzen Zeiten sorgen.
Man sollte sich die Funktion eines Schlitzverschlusses einfach einmal klar machen: Selbst bei einer sehr kurzen Belichtungszeit wandert der Schlitz relativ „lahm“ über den Film hinweg, die geringe Exposition des Films erfolgt lediglich durch einen entsprechend schmalen Schlitz. Aber so schmal der Schlitzes auch ist, so lässt er doch durch seine relativ niedrige Geschwindigkeit zu, dass die heftigen kurzen Erschütterungen direkt auf den Film gelangen (die Verschlussvorhänge sind schlicht und einfach ziemlich „geschwindigkeitsbegrenzt“). Die Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind also völlig richtig, dass die Spiegelvorauslösung sich eben nur bei kurzen Zeiten positiv bemerkbar macht. Eine (leichte) technische Verbesserung des Problems ließe sich nur mit reduzierten beschleunigten Massen der Verschlussvorhänge sowie stärkeren Aufzugfedern erzielen, was dann auch zu einer entsprechend kürzeren Synchronzeit beim Blitzen führen würde. Jedoch können die bewegten Massen nicht immer weiter verkleinert werden, genau sowenig wie die Beschleunigungskräfte nicht quasi beliebig erhöht werden können (diesbezüglich kann auch Hasselblad nicht zaubern). Wer jetzt aber meint, Mittelformatkameras mit Zentralverschlüssen würden bei kürzeren Zeiten eine bessere Figur machen, der täuscht sich erneut! (aber das ist bereits ein neues Thema)
Hallo Tom
ich bin wirklich ein kompleter Laie aber das mit der Langzeitbelichtung habe ich mir schon immer so wie du es beschrieben hast gedacht. Dank diesem Artikel habe ich nun die Bestätigung Danke
«…. nutzte ich das Standard-80mm-Objektiv an der 6×6-Kamera.»
Hallo Thomas,
jetzt wird Deine Aussage ein wenig klarer. Ich glaube mich zu erinnern dass Du eine Schlitzverschlußkamera im Mittelformat benutzt.
Wahrscheinlich ist nicht der Spiegel für Dein Phänomen ursächlich, sondern der Verschluß.
Anfang der Neunzigern hatte mein Mann einen regen Briefwechsel mit einem Hersteller aus Schweden. Unsere Neuerwerbung lieferte auf dem Stativ trotz leichter Abblendung, mit einem bestimmten verschlußlosen Objektiv der absoluten Oberklasse, stetig unscharfe Aufnahmen. Als Antwort bekam er nach einigen Briefen zu hören, dass man in Göteborg den Fehler zwischenzeitlich kannte und man dagegen nichts machen könne, außer die problematischen Verschlußzeiten zu vermeiden. Ursache seien Vibrationen vom Schlitzverschluß. Aus der Hand, mit schnellen V-Zeiten, lieferte das fragliche Objektiv an der betreffenden Kamera, trotz Offenblende, geniale Ergebnisse. Abgeblendet, mit niedrigempfindlichem Film, war es vom Stativ erst ab 1 Sekunde problemlos zu gebrauchen wenn man die Einheit um 90° drehte. Dazu mußte man trotz 6×6 leider einen Prismensucher benutzen. Der Spiegel war auf dem Stativ selbstverständlich immer festgestellt.
Hallo Frau Müller, an den Verschluss hatte ich hier gar nicht gedacht. Diese Herangehensweise gibt ein ganz neues Licht auf die Angelegenheit. Ich werde es im Artikel zumindest erwähnen. Für eigene, weitere Tests fehlt mir mittlerweile leider die Kamera mit der Spiegelvorauslösungsmöglichkeit.
Hallo Thomas,
Deinen diesbezüglichen Aussagen kann ich nicht folgen. Sie sind mir zu pauschal.
Zum einen spielt das Gewicht bzw. die Stabilität des Stativs nur eine untergeordnete Rolle. So mußten wir vor Jahren feststellen daß ein super schweres Stativ, das wir damals vor allem für Großformatkameras benutzten, mit einer Kleinbildkamera regelmäßig Unschärfen verursachte. Bis heute wissen wir nicht woran das lag. Eigenschwingungen?????? Kamera-Objektiv-Stativ funktionierten nicht miteinander. Als wir einmal ein kleines, leichtes Stativ benutzten erhielten wir dagegen super scharfe Negative.
Ich erwähne jetzt weder die Kamera/Objektiv noch die Stative. Mit Geräten von anderen Herstellern können die Ergebnisse völlig anders aussehen.
Weiter sagst Du mit keinem Wort welche Brennweite(n) Du benutzt hast. Nach unseren Erfahrungen treten Verwacklungen durch den Spiegel (aber auch durch den [Schlitz-]Verschluß) am ehesten bei Teleobjektiven und bei Makroaufnahmen auf. Normal- und Weitwinkelbrennweiten sind weniger kritisch.
Auch sind nicht alle Verschlußzeiten gleich stark betroffen. Weiter macht es einen Unterschied ob man im Hoch- oder Querformat fotografiert. Ferner ob die Kamera am Objektiv hängt (Stativschelle) oder am Stativ befestigt wurde.
Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die Spiegelvorauslösung, zumindest bei uns, die größte Wirksamkeit bei Brennweiten länger als 135 mm (KB) oder bei Makros ab ca. 1:4 und Verschlußzeiten zwischen ½ und 1/60 Sekunde hat. In diesem Bereich sieht man mit einer guten Zehnfachlupe problemlos Unterschiede.
Hallo Frau Müller, du hast schon Recht: Die Aussagen sind recht pauschal gehalten. Für meine wenigen Tests (die sich auf die eigene Praxis beziehen) nutzte ich das Standard-80mm-Objektiv an der 6×6-Kamera. Mit diesem hatte ich Verwackelungen beobachten können. Aber eben nur bei den schnelleren Zeiten. Das ist eben das Seltsame, weil es sich doch von der bisherigen Literatur unterscheidet.
hier kann man einiges zum Thema lesen:
Der Altmeister kommt zu völlig anderen Ergebnissen
http://www.poelking.com/wbuch/scharf/index_d.htm
Hi Tom, danke für den supertollen Artikel. Ich fotografiere gerade mit einer Nikon D7000 (DX-Format) und stelle fest, dass ich bei Aufnahmen mit permanentem Studio-Licht (ohne Blitz) eine Verwacklung in der Vertikalen habe – trotz Stativ und Fernauslösung (via Tethering in Lightroom). Nun bin ich zum Entschluss gekommen, dass es sich eigentlich nur um die nicht vorhandene SVA handelt; meine Frage ist nun, übersehe ich vielleicht einen weiteren möglichen Faktor, der zur vertikalen Unschärfe führen könnte? Da es für meine Arbeit ist, möchte ich nicht auf Geschäftskosten eine Kamera mit SVA mieten, um dann zu sehen, dass es doch nicht an der SVA gelegen hat.
Hallo Claudio, meiner Erfahrung nach benötigen solche kompakten Kameras wie eine digitale Kamera im DX-Format keine Vorauslösung des Spiegels. Hier ruckelt kaum etwas. Ich glaube nicht, dass das Verwackeln dadurch verhindert werden kann. Doch woran liegt es? Das kann ich leider auch nicht sagen. Bei einem meiner Objektive verstellen sich die Linsen manchmal (hat etwas mit dem Bildstabilisator zu tun). Vielleicht könnte dies bei dir auch ein Grund sein. Auf einem Stativ sollte der Bildstabilisator ausgeschaltet sein. Eine andere Fehlerquelle möchte mir leider auch nicht einfallen, denn du hast ja bereits einen sehr guten Aufbau beschrieben. Auch ein unstabiler Boden (alte Dielen, auf denen man sich bewegt) könnte ein Grund sein. Ansonsten bin ich auch überfragt.
tja, diese 100%-Ansicht-Geschichte … Irgendwie Unsinn, denn selbst bei meiner MFT wäre das auf dem Bildschirm ein an die 2qm großes Bild.
Den Spiegelschlag habe ich allerdings auch nur mit größter Mühe erkennen können, als ich mir ein kleineres und leichteres Stativ zugelegt habe für meine Mamiya 645. Mit Tele auf einem Technical Pan war das tatsächlich zu erahmen, wenn ich das neue kleine Sirui volle Pulle ausgezogen habe, was kein normaler Mensch macht, schätze ich.
Digital kann das schon anders sein, weil dort ja immer nur je ein winziger Punkt des Sensors lichtempfindlich ist und nicht die ganze Aufnahmefläche homogen wie auf Film. Da liegt – einfach gesagt – der Lichtstrahl schon eher mal daneben.
Das mit der Belichtungszeit leuchtet ein, obwohl oft von einem Bereich zwischen 1/8 und 1/125 die Rede ist. Länger ist klar sicher Unsinn. Bei den kürzeren könnte die Art der Verschlußzeitbildung einen Einfluß haben. Der „Wischer“ des Schlitzverschlusses verwischt das vielleicht. Beim Zentralverschluß wird das ganze Bild freigegeben. Daraus müßte ich schließen, daß Du ein Objektiv mit Zentralverschluß benutzt hast. Nun bin ich aber neugierig.
Gruß
Jochen
Hallo Jochen, danke für das Teilen deiner Erfahrungen! Ich hatte bei meinem Test eine Mittelformatkamera mit Tuch-Schlitzverschluss genutzt.
Grüße!
Hallo Tom, ich hatte in jedem Fall schärfere Bilder, egal ob kurze oder lange Belichtungszeiten und nutze die SVA seither praktisch immer bei meiner Vollformat. Bei mir war das Stativ einfach zu leicht um die Vibrationen des Spiegelschlags zu kompensieren. Hier geht es natürlich nur um feinste Unterschiede bei 100% Ansicht… toller Beitrag Danke