Im Streiflicht: der unbekannte Stein auf dem Ettersberg
In der Nähe des thüringischen Weimars, auf dem Ettersberg, befindet sich ein alter Gedenkstein: Der unbekannte Stein – Niemand weiß mehr, an was er erinnern soll. Ich habe versucht, mit dem Blitzgerät ein Streiflicht zu erzeugen, um die verwaschene Schrift besser sichtbar zu machen.
Auf dem Ettersberg bei Weimar, gleich in der Nähe zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald, befinden sich vier alte Gedenksteine, die teilweise sehr versteckt- bzw. (bis auf den Napoleonstein) sehr unbekannt sind: Der letzte Hirsch, Forstmeister Hinnens Stein, der Napoleonstein sowie eben der (heute) unbekannte Stein, dessen Fragmente der leider sehr verwaschenen wie auch bereits heraus gebrochenen Inschrift mich doch sehr interessieren.
Der Stein befindet sich am Rande eines ehemaligen Truppenübungsplatzes der Sowjet-Armee, welche bis Anfang der 1990er Jahre auch in Weimar stationiert war. Zwar ist dies ein Technik-Blog. Doch dieser Titel ist ausnahmsweise primär weniger technisch, obgleich ich auch hier eine ganz bestimmte Blitz-Technik in der Praxis demonstriere, nämlich das Erzeugen eines Streiflichtes, welches Oberflächen harsch betont.
Am Ende dieses Beitrages gibt es alle Links zur „OpenStreetMap“ mit den Koordinaten der vier historischen Steine vom Ettersberg, für alle, die jene selber besuchen möchten.
So sieht der unbekannte Stein heute aus
Die Inschrift ist kaum lesbar. Da ich aber weiß, dass man mit einem harten Streiflicht sehr gut Strukturen sichtbar machen kann, die bei einem diffusen Licht kaum sichtbar sind, habe ich einmal ein Blitzgerät seitlich vom unbekannten Stein positioniert.
Ich nutzte meinen Yongnuo YN560 III, da jener einen eingebauten Funkempfänger besitzt. So ist ein Entfesseln des Blitzgerätes ein Kinderspiel: Ich musste nur den kleinen Sender des Yongnuo RF602-Systems auf meine Kamera stecken und schon konnte es los gehen:
Der unbekannte Stein im Streiflicht
Sie sehen: Plötzlich lässt sich durch das punktuelle (harte) Streiflicht von der Seite der Rest der verblichenen Schrift viel besser entziffern! Sie können das Streiflicht-Prinzip leicht selbst ausprobieren: Halten Sie Ihre Handinnenfläche parallel zu einer Lampe und betrachten Sie sich Ihre Haut.
Nun halten Sie Ihre Handinnenfläche flach so zu der Leuchte, dass die Fingerspitzen zur Lampe zeigen und betrachten Sie sie sich erneut: Plötzlich sehen Sie die Hautstruktur (bzw. die sogenannten „Papillarleisten“) wesentlich besser. Nach dem gleichen Prinzip wollte ich mir einmal die Inschrift des unbekannten Steins genauer, klarer ansehen können.
Damit ich möglichst alles natürliche Licht (es war taghell) aussperren konnte, musste ich mit einer möglichst schnellen Blitzsynchronzeit arbeiten.
Meine Digitalkamera schafft es, den Blitz noch bei 1/250 Sekunde korrekt zu synchronisieren. Durch diese schnelle / kurze Belichtungszeit wurde freilich alles komplett unterbelichtet, was nicht vom Blitz getroffen wurde: Dadurch erschaffe ich mir visuell diese Relief-Struktur. Bei weiterem Interesse zu dieser Technik lesen Sie evtl. auch meinen Artikel: Nacht mit dem Blitz simulieren. Natürlich hätte ich das Bild auch bei Dunkelheit aufnehmen können. Jedoch wollte ich vermeiden, da oben auf dem Ettersberg im Dunkeln umher zu streifen. Denn es ist ein teilweise doch recht schwierig begehbares Dickicht.
Details vom unbekannten Stein
Ich hatte nun mehrere Aufnahmen mit dem entfesselten Blitz durch Streiflicht aus verschiedenen Winkeln angefertigt, da einige Elemente am besten bei Streiflicht aus einer ganz bestimmten Richtung sichtbar sind. Ferner habe ich die Detail-Ausschnitte am Computer bearbeitet, damit die grobe Struktur möglichst genau lesbar wird. Man kann die Bilder per Klick auch noch vergrößern. Öffnet man sie in einem neuen Fenster bzw. „Tab“, erhält man die Originalgröße.
Detail #1
Detail #2
Detail #3
Lösungsversuch zu Inschrift des unbekannten Steins auf dem Ettersberg
(An dieser Stelle endet bereits der technische Teil dieses Artikels.)
Am einfachsten lässt sich noch das Datum auf dem Gedenkstein entschlüsseln:
Die 9 (1890er Jahre) lässt sich nur vage und auch nur durch das Streiflicht aus einer ganz bestimmten Position ausmachen. Am besten erkennt man eine 9 im Datum bei der Detailabbildung #2. Natürlich kann ich mich hier bei den 1890ern aber auch irren.
Für den 16. Mai liegen für mich keine adäquaten Ereignisse vor, die ich mit einem Gedenkstein in Weimar verbinden kann.
Auffallend ist ebenfalls, dass es sich bei dem (für mich) zunächst vermeintlichen „F“ am Anfang der zweiten Zeile eigentlich um ein „H“ zu handeln scheint, was für mich erst durch das Streiflicht richtig ersichtlich wurde. Mein bisheriger Entschlüsselungs-Versuch der Inschrift des unbekannten Gedenksteins sieht dann so aus:
v. SXXuch’s
HXn
den 16. Mai 189X
In der zweiten Zeile vermutete ich zunächst eine Abkürzung. Das „n“ in dieser zweiten Zeile könnte aber auch ein (beschädigtes) „h“ sein. So könnte es dann vielleicht heißen:
v. SXXuch’s
Höh
den 16. Mai 189X
Dies würde einen Sinn ergeben, denn der Ort befindet sich auf eine Anhöhe („Höh“) mit wirklich schönem Blick in das Tal in welchem die Stadt Weimar liegt (man schaut von da genau genommen aber darüber hinweg). Vielleicht hatte sich jemand (oder Fans dieser Person) einen Stein gegönnt, weil diese Person dort oben so gerne verweilte? So etwas gibt es ja auch andernorts (»Wilhelmshöhe« oder dergleichen).
Gegen diese Theorie könnte sprechen, dass der Abstand zwischen diesen drei Buchstaben doch recht groß ist. Aber vielleicht hatte dies der Steinmetz seinerzeit aus typografischem Grund ganz bewusst so gemacht. Auch weiß ich nicht, ob es üblich war, bei Personen mit adeligem Nachnamen das „von“ bzw. „v.“ hinzu auf einen solchen Gedenkstein zu meißeln. Zudem frage ich mich hier, wozu noch ein Datum in den Stein gesetzt wurde, wenn lediglich auf eines bestimmten Menschen liebste Höh hingewiesen wurde. Diese „Höh“ bleibt also zunächst nur eine Vermutung von mir.
Vermutlich ist das Datum ein bestimmter Tag, an dem sich eine Festgesellschaft um genau diesen Stein herum zur Aufstellung versammelt hatte.
Ich habe auch einmal bei Wikipedia nach Weimarer Persönlichkeiten mit einem Nachnamen, der mit „S“ beginnt, geschaut. Doch auch hier bin ich nicht weiter gekommen.
Ein Ansatz diesbezüglich wäre Friedrich Justin Bertuch: Bertuchs Höh. Jedoch handelt es sich bei dem ersten Großuchstaben in der ersten Zeile der Inschrift offenbar tatsächlich um ein „S“ (und nicht etwa um ein „B“). Durch die gut sichtbare untere Serife des „S“ ist eher auszuschließen, dass es sich eigentlich um ein beschädigtes „B“ handelt.
Die letzten vier Buchstaben hingegen würden wiederum mit jenen Lettern des Namens dieses Mannes überein stimmen. Allerdings ist F. J. Bertuch bereits 1822 gestorben, also lange vor der offenbaren Errichtung dieses Gedenksteines. Außerdem wäre der Nachname etwas zu lang für die Zeile gewesen. Aber, wie gesagt: Das Datum kann sich auch einfach auf ein späteres Jubiläum, auf den Tag der Ausstellung beziehen (aber nicht auf dessen Todes- bzw. Geburtstag).
Andererseits könnte es sich am Ende der zweiten Zeile gar nicht um ein „ch’s“ sondern um ein „dis“ handeln, was Fotografie „Detail #1“ mutmaßen lassen könnte. So könnte es dann heißen:
v. SXXudis
Höh (?)
den 16. Mai 189X
Es bleibt ein Rätsel, an was dieser Gedenkstein einmal erinnert haben soll. Er kann auch etwas mit der Jagd zu tun haben, welcher auf dem Weimarer Ettersberg vor über einhundert Jahren offenbar noch gefrönt wurde.
Dies würde nämlich zum Gedenkstein für den letzten Hirsch passen (ca. 1,7 km Luftlinie nordwestlich von hier), welcher sicherlich ebenfalls um die vorletzte Jahrhundertwende dort gesetzt wurde. Auch zu Forstmeister Hinnens Stein (ca. 2,8 km Luftlinie norwestlich von hier) könnte dies passen – Obgleich jener, wie man an jenem selbst lesen kann, erst später ab 1933 gesetzt sein konnte.
Das Gelände rund um den unbekannten Stein ist übrigens recht schwierig zugänglich. Offenbar war dies vor vielen, vielen Jahre einmal anders. Ich hatte auch schon erwähnt, dass genau hier viele Jahre lang die Rote Armee ein Truppenübungsplatz betrieb. Dadurch war das Betreten von Zivilisten an dieser Stelle sicherlich strengstens untersagt (und zwar bis ca. 1994). Aus diesem Grund wird dieser Gedenkstein wohl völlig in Vergessenheit geraten sein. Zudem war dieses Gelände vor 1945 bereits ein Truppenübungsplatz der Wehrmacht. Hier wurden, so verrät es eine Tafel weiter unten am Hang, Granaten getestet. Jedoch ist der Unbekannte Stein selbst noch älter.
Ferner wurde dieses Gelände bereits vor 1933 militärisch genutzt. Handelt es sich vielleicht um einen vom kaiserlichen Militär gesetzten Gedenkstein? Auch so etwas ist ja auf Militärgeländen nicht unüblich. Demzufolge könnte es sich um einen Stein handeln, welcher in Zusammenhang mit einer bestimmten Brigade, mit einer bestimmten Division oder einem bestimmten General in Verbindung gebracht werden kann.
Grundsätzlich wundere ich mich, warum die Sowjets dies dann so stehen gelassen hatten. Vielleicht war der Stein über Jahrzehnte auch zugewuchert und verschwunden.
Links zu den Lageplätzen der vier Steine vom Ettersberg
Wenn Sie sich die vier historischen Gedenksteine des Ettersberges selbst ansehen möchten, müssen Sie zunächst Geduld haben: Bis auf den Napoleonstein, welcher sogar ausgeschildert ist (wenn auch recht dezent), sind die Steine wirklich sehr versteckt und stets abseits der Wege.
Am einfachsten findet man sie z. B. mit einem Smartphone und der App „Osmand“. Dieses Programm greift („offline“) auf die „Open Street Map“ zu, in welcher die Steine als sogenannte „Pois“ (ein englisches Akronym für ungefähr „Orte des eigenen Interesses“) angezeigt werden. Die Open Street Map (inklusive dieser „POIs“) kann man sich aber auch am heimischen Computer anschauen: